Uhrenwissen  
Die Erfindung der Weltzeit
Der Genfer Uhrenturm um 1880
Taschenuhr mit sechs Zeitangaben, Schweiz um 1880 (Inv. 2001-042)
Rex Woods: The Birth of Standard Time 1884. Sandford Fleming stellt sein Konzept der Zonenzeit vor.
Schaufensteruhr mit Anzeige der Uhrzeit in acht Weltstädten. Junghans, Schramberg um 1908 (Inv. 16-2575)
„Geochron World Clock“, Weltzeituhr mit Angabe der Tages- und Nachtzonen, Schweiz 2001 (Inv. 2001-008)
Die Zeit der Eisenbahnen

1848 schrieb Charles Dickens im Roman „Dombey und Sohn“ über die revolutionäre Kraft des neuen Verkehrsmittels Eisenbahn: „Sogar die Uhren richten sich nach der Eisenbahnzeit, so als hätte die Sonne aufgegeben.“ Was war geschehen? Mit der Ausbreitung der Eisenbahnen machte sich bemerkbar, dass jeder Ort seine eigene Sonnenzeit hat. Die ersten Eisenbahnreisenden waren ratlos: Wie sollten sie in einem fahrenden Zug die Uhr stellen? Nach der Ortszeit des Abfahrtsortes oder nach der des Ankunftsbahnhofs?
Um Klarheit zu schaffen, führte man in der Mitte des 19. Jahrhunderts einheitliche Zeiten ein, die sich in der Regel nach dem Hauptsitz der Eisenbahngesellschaft oder der Landeshauptstadt richteten. Nicht immer führten diese Eisenbahnzeiten zu größerer Klarheit, insbesondere in Grenzorten. In Genf z.B. musste man mit drei Zeiten jonglieren. Bis 1886 zeigte der dortige Uhrenturm drei verschiedene Zeiten, je eine für die Eisenbahnen nach Frankreich (Pariser Zeit) oder innerhalb der Schweiz (Berner Zeit) sowie die Genfer Ortszeit für den Alltag

Dies entfesselte die Fantasie der Uhrmacher, die Uhren zur Anzeige der verschiedenen Zeiten entwickelten. In der Praxis setzten sich diese jedoch kaum durch, da die Ablesbarkeit zu wünschen übrig ließ.

Auf dem Weg zu einer weltweiten Zeitordnung

Wenn in Europa die Sonne ihren Höchststand erreicht, ist es auf der anderen Seite der Erde Mitternacht. Diese Tatsache spielte im Bewusstsein der meisten Menschen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts kaum eine Rolle. Das änderte sich, als man begann, Nachrichten via Telegrafenkabel um den Erdball zu schicken.
Der kanadische Eisenbahningenieur Sandford Fleming verpasste 1876 den Zug wegen eines Druckfehlers im Reiseführer: Statt vormittags um 5.35 a.m. wartete er vergebens nachmittags um 5.35 p.m.
Nach diesem Schlüsselerlebnis begann Fleming, sich intensiv mit der Einteilung der Zeit zu beschäftigen. Bereits wenige Monate später veröffentlichte er den Essay „Terrestrial Time“ mit einem Bündel von Vorschlägen für eine weltweite Zeitordnung.
Fleming empfahl, die Stunden von 1 bis 24 statt wie bisher zweimal von 1 bis 12 zu zählen. Für die weltweite Zeitordnung schlug er eine von den Lichtverhältnissen unabhängige Weltzeit vor, alternativ auch die Einteilung in 24 Zeitzonen von je 15 Grad geografischer Länge. Jede dieser 24 Zonenzeiten sollte sich von den benachbarten um eine Stunde unterscheiden.
Als größtes Hindernis entpuppte sich das Fehlen eines einheitlichen Nullmeridians, den man als Ausgangspunkt brauchte. Es waren eine Vielzahl von Bezugsmeridianen im Gebrauch: Greenwich, Paris, Cadiz, Neapel usw.
Um dieser verwirrenden Vielfalt ein Ende zu setzen, trafen sich Vertreter von 25 Staaten 1884 in Washington D.C. zur „International Prime Meridian Conference“, wo man sich auf Greenwich als Nullmeridian einigte.
In der Folge führte man weltweit Zonenzeiten ein, in Deutschland 1893 die Mitteleuropäische Zeit (MEZ), die noch heute im Gebrauch ist.

Der späte Triumph der Weltzeit

Sandford Flemings höchstes Ziel war aber nicht die Einführung der 24 Zonenzeiten, sondern einer einzigen, von den Lichtverhältnissen unabhängigen Weltzeit. Diese Idee konnte sich aber trotz internationaler Unterstützung durch einflussreiche Persönlichkeiten Ende des 19. Jahrhunderts noch nicht durchsetzen.
Erst 1928 wurde vereinbart, als einheitliche Weltzeit „Greenwich Mean Time“ (GMT) zu verwenden, die mittlere Sonnenzeit der Londoner Sternwarte.
Auch heute noch orientiert sich die koordinierte Weltzeit „Universal Time Coordinated“ (UTC) an Greenwich, doch wird die UTC nicht mehr von Astronomen bestimmt, sondern von Atomuhren erzeugt. Damit der stetige Zeitmaßstab UTC nicht wesentlich von GMT abweicht, wird die UTC wenn nötig durch Schaltsekunden an GMT angeglichen.

 

 

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